Die Einladungspflicht des öffentlichen Arbeitgebers nach § 165 SGB IX

Öffentliche Arbeitgeber (Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts) sind verpflichtet, schwerbehinderte Bewerbende zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 165 Satz 3 SGB IX). Diese Pflicht betrifft alle öffentlichen Arbeitgeber, mit Ausnahme kirchlicher Einrichtungen (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 25. Januar 2024 – 8 AZR 318/22). Die Norm verpflichtet Arbeitgeber, schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Bewerbende zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie nicht offensichtlich ungeeignet sind. Offensichtlich ungeeignet ist, wer unzweifelhaft nicht dem fachlichen Anforderungsprofil einer ausgeschriebenen Stelle entspricht. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es gerade nicht, von einer Einladung abzusehen, da das Vorstellungsgespräch dazu dienen soll, Zweifel im Vorstellungsgespräch auszuräumen (BAG, Urt. v. 11.08.2016 - 8 AZR 375/15).

Entschädigung bis zu drei Monatsentgelten

Verstöße gegen diese Verpflichtung können zu Entschädigungsansprüchen der schwerbehinderten Bewerbenden gegenüber dem öffentlichen Arbeitgeber von bis zu drei Monatsentgelten führen (§ 15 Abs. 2 AGG). Dem Arbeitgeber muss zuvor die Schwerbehinderteneigenschaft bzw. die Gleichstellung der / des Bewerbenden bekannt sein; Bewerbende müssen darauf in den Unterlagen rechtzeitig (BAG Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 171/20) und deutlich (BAG, Urt. v. 18.09.2014, 8 AZR 759/13) hinweisen.

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Mit dieser Norm im Sozialgesetzbuch IX hat der Gesetzgeber eine Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers geschaffen, kein individuelles Anrecht von schwerbehinderten Menschen, auf das diese wirksam verzichten kann (BAG, Urt. v. 26.11.2020 - 8 AZR 59/20). Lädt der öffentliche Arbeitgeber nach einem entsprechenden Hinweis in den Bewerbungsunterlagen schwerbehinderte Bewerbende trotz eines von den Bewerbenden bereits in den Bewerbungsunterlagen verschriftlichten Verzichts auf ein etwaiges Vorstellungsgespräch bei mangelnden Erfolgsaussichten nicht zum Vorstellungsgespräch ein, so kann dies dennoch eine Entschädigungspflicht nach § 15 AGG begründen. In der Praxis empfiehlt es sich daher nach Ansicht des Verfassers, dennoch eine Einladung auszusprechen, und ggf. dann eine etwaige Absage des schwerbehinderten Bewerbers zur Auswahldokumentation zu nehmen.

Das Vorstellungsgespräch im SGB IX

Der Begriff des Vorstellungsgespräches selbst ist vom Gesetzgeber weit gefasst und umfasst ebenso Telefoninterviews, Eignungstests, Assessment-Center sowie andere Formen der Personalauswahl. Die Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers umfasst alle Instrumente des Verfahrens der Personalauswahl, unabhängig von ihrer Bezeichnung, der angewandten Methode und der konkreten Durchführungsform (BAG Urt. v. 27.08.2020 - 8 AZR 45/19). Wenn ein mehrstufiges Auswahlverfahren vorgesehen ist, sind schwerbehinderte Bewerbende daher auch zu allen Stufen des Verfahrens einzuladen, soweit sich nicht während des Verfahrens die offensichtliche Nichteignung abschließend und unzweifelhaft ergibt.

Offensichtlich ungeeignet im Sinne des § 165 SGB IX sind unter anderem Bewerbende, welche die zwingenden Mindestanforderungen in einer Ausschreibung nicht erfüllen. So sind beispielsweise Bewerbende für eine Stelle im amtsärztlichen Dienst, denen die zwingend notwendige Approbation fehlt, nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Ebenso verhält es sich im Richterdienst, in dem die Laufbahnanforderungen zwingend die Befähigung für das Richteramt vorschreiben. In solchen Fällen fehlt unzweifelhaft die fachliche Eignung, wenn Approbation bzw. die notwendigen Staatsexamina nicht vorliegen. Schreibt der Arbeitgeber aus sachlichen Gründen ergänzend noch eine Mindestnote für die Ausbildung in der Ausschreibung vor, so müssen schwerbehinderte Bewerbende, die diese Mindestnote nicht aufweisen können, nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden (BAG, Urt. v. 29. April 2021 - 8 AZR 279/20).

Einladungspflicht bei Mehrfachbewerbungen

In Fällen, in denen sich schwerbehinderte Bewerbende immer wieder auf sehr ähnliche oder identische Stellen beim selben öffentlichen Arbeitgeber bewerben, sind diese auch immer (wieder) zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Vor einer Einladung kann in einer solchen Konstellation nur dann abgesehen werden, wenn die Stellen, das Auswahlverfahren und das Auswahlgremium identisch sind und zwischen den Gesprächen nur eine sehr kurze Zeit liegt (BAG Urt. v. 25.06.2020 - 8 AZR 75/19). Entsprechendes gilt für rein interne Ausschreibungen.

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Nehmen schwerbehinderte Bewerbende eine Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht wahr, oder wird dieses ohne Angabe wichtiger Gründe durch die Bewerbenden vorher abgesagt, so besteht für die Bewerbenden kein Anspruch auf Einrichtung eines Ersatztermins, soweit nicht wichtige Gründe die Nichtwahrnehmung des Termins rechtfertigen. Hierfür kommen vorwiegend kurzfristige Erkrankung, Ortsabwesenheit durch einen gebuchten Urlaub oder eine Terminkollision, z. B. durch einen Arztbesuch, in Frage. Insbesondere bei kurzfristiger Erkrankung ist eine Verschiebung dem Arbeitgeber jedoch regelmäßig zuzumuten. Teilen die Bewerbenden im Rahmen ihrer Absage jedoch keinen Grund mit, so ist der Arbeitgeber weder durch Kontaktaufnahme zu den Bewerbenden verpflichtet zu eruieren, ob ein hinreichend gewichtiger Grund vorliegt (BAG, Urt. v. 01.07.2021 - 8 AZR 297/20), noch ist er zur Stellung eines Ersatztermins verpflichtet (BAG, Urt. v. 23.11.2023 - 8 AZR 164/22). In der Praxis sind daher nach Ansicht des Verfassers maximal zwei Ersatztermine bei begründeter Absage anzubieten. Ein darüberhinausgehender Anspruch auf weitere Termine besteht nicht, da auch das Stellenbesetzungsinteresse für die Erfüllung der zumeist hoheitlichen Aufgaben des Arbeitgebers hinreichend Berücksichtigung bei der Würdigung der Interessen beider Parteien finden muss.

Ausschluss aufgrund von Befristungsrecht

Ebenso sind schwerbehinderte Bewerbende nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn die zu besetzende Stelle befristet ausgeschrieben wurde, und die / der Bewerbende nicht (mehr) wirksam befristet eingestellt werden kann. Dies kommt insbesondere bei einem schädlichen Vorbeschäftigungsverhältnis nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG in Frage. Für die Personalverwaltungen der öffentlichen Arbeitgeber empfiehlt es sich daher, den Kreis der Bewerbungsberechtigten vorab in der Ausschreibung auf Personen einzuschränken, mit denen eine wirksame Befristung vereinbart werden kann. Dies gilt auch im Hinblick auf schwerbehinderte Bewerbende. Die Einschränkung des Bewerbungsanspruchs ist in solchen Fällen zulässig (BAG, Urt. v. 29. Februar 2024, 8 AZR 187/23).

Fazit

In der Praxis der öffentlichen Personalverwaltungen ist die Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und auch des EuGH zum SGB IX unbedingt zu berücksichtigen, um nicht mit Entschädigungsansprüchen nicht eingeladener schwerbehinderter Bewerbenden konfrontiert zu werden. Die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch ist ein hinreichendes Indiz für eine*n schwerbehinderte*n Bewerber*in, um eine Entschädigung nach § 15 AGG wegen der Diskriminierung schwerbehinderter Menschen zu verlangen. Der öffentliche Arbeitgeber ist dann in der vollen Darlegungs- und Beweislast, die offensichtliche Nichteignung einer / eines schwerbehinderten Bewerbenden, die zur Nichteinladung geführt hat, zu belegen.

Der Beitrag ist eine Zusammenfassung des gleichnamigen Fachaufsatzes des Autoren „Die Einladungspflicht des öffentlichen Arbeitgebers nach § 165 SGB IX“, apf – Ausbildung, Prüfung, Fachpraxis 7-8/2024, Boorberg-Verlag, S. 205-210.

(Artikel erstellt am 09.09.2024)

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Der Verfasser

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Tobias R. Thauer
PIW-Trainer

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  • Eingruppierung (Erfahrungsstufen, §§ 16, 17 TVöD-VKA / Bund und TV-L)
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  • Beschäftigungszeiten im TVöD-VKA / Bund und TV-L inkl. Überleitungstarifverträge
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